Dienstag, 2. Oktober 2012

La Calahorra

Die Flagstone First National Bank
mit dem Saloon im Hintergrund.
Die letzte Station auf unserer Reise sollte gleichzeitig jene sein, auf die ich am meisten gespannt war. Selbst das Wissen um den fortgeschrittenen Zerfall der Überreste des Flagstone-Sets aus Spiel mir das Lied vom Tod konnte meine Vorfreude nicht trüben. So groß war die Aufregung; schließlich schloss sich genau hier der Kreis: Nicht nur Henry Fonda und Charles Bronson drehten in diesem Set, auch die zwei Dollar-und beide Nobody-Filme entstanden zum Teil hier. Neben dem erbärmlichen Zustand war uns allerdings noch ein weiteres Problem bekannt. Die Überreste des Flagstone-Sets stehen in unmittelbarer Nähe eines alten, verlassenen Bahnhofs, der selbst für zahlreiche Western als Kulisse herhalten musste, der aber auch ziemlich abgelegen, praktisch mitten in der Wüste steht. Nach einer so unnötigen wie abenteuerlichen Spritztour durch die Wüste (tatsächlich brachte uns ein einmaliges falsches Abbiegen in die Gefahr, auf einer alles bisherige in den Schatten stellenden Schotter-Piste in einer meilenweit nichts als Staub offenbarenden Einöde eine Auto-Panne zu riskieren) war die Estación de La Calahorra dank Hinweisschildern sogar recht gut zu finden. Nachdem man bei La Calahorra die Autobahn verlassen hat, weist ein Schild im Kreisverkehr den Weg.

Die Location selber hat sich gegenüber den mir bekannten Fotos aus den Jahren 2003 und 2005 leider weiter verändert. Nicht nur, dass einige Gebäude verschwunden sind oder als roter Backstein-Trümmerhaufen im Wüstensand liegen, auch der "Star" der Location, der ehemalige Saloon, ist bis zur Unkenntlichkeit verbaut und zu allem Übel neuerdings eingezäunt. Mit einem lachenden und einem weinenden Auge vermischten sich die Gefühle, einerseits ein paar Jahre zu spät zu kommen, aber andererseits immerhin noch rechtzeitig, bevor hier irgendwann nichts mehr an die goldenen Zeiten des europäischen Westerns erinnert.

Wie zuvor allenfalls die Sweetwater-Ranch im Western Leone, strahlte dieser Ort eine Magie aus, wie ich sie kaum jemals erlebt hatte. Trotz des bemitleidenswerten Zustandes; in den Fußspuren von Bronson, Fonda und Cardinale zu wandeln, just an dem Ort, an dem sich Terence Hill mit Klaus Kinski duellierte, dieses erhabene Gefühl, das wohl nur echte Aficionados nachvollziehen können, lässt sich mit Worten nicht beschreiben.

Der verlassene Bahnhof Estación de La
Calahorra gleich hinter dem Flagstone-Set.
Dabei stehen gerade einmal noch vier Gebäude beziehungsweise deren Grundmauern. Was einmal der Saloon war, ist heute eine Lagerhalle mit großem Tor und zugemauerten Fenstern. Erkennen lässt sich die Architektur jedoch noch ziemlich gut. Gleiches gilt für die Flagstone First National Bank, deren Grundmauern unverändert dastehen, bislang sogar noch frei zugänglich. Egal in welche Richtung man in diesem Epizentrum des Italowesterns den Blick richtet, stets tauchen unsterbliche Bilder vor dem geistigen Auge auf. Hier die Hauptstraße von Flagstone, dort die Prärie hinter Doc Foster und dann natürlich der aus so vielen Filmen bekannte Saloon.

Nur einen Steinwurf entfernt liegt dann noch die Estación de La Calahorra, der Geisterbahnhof, in den Leone zahlreiche Züge einfahren ließ. Die Halle mit dem markant geschwungenen Dach, welches in jedem dieser Filme unverwechselbar zu erkennen ist, steht nach wie vor. Auch die restlichen Gebäude haben sich nur wenig verändert. Wie auf der Flagstone-Straße schießen einem auch beim Spaziergang über die Gleise Bilder wie Mortons wartender Zug, der Goldtransport in Nobody oder das gigantische Geschütz aus Zwei Glorreiche Halunken in den Kopf.

Welch ein Ausblick zum Ende unserer Western-Tour.
Fraglos erwies sich unser letzter Stop als imposanteste Location, selbst wenn sie an eigentlichen Schauwerten mit Abstand am wenigsten bietet. Doch dieser Ort atmet Filmgeschichte und lässt wehmütig werden. Flagstone war definitiv ein würdiger Abschluss für unsere Western-Tour und wirkte auf dem langen Heimweg noch lange und bilderreich nach.